GABE & GIFT
Das Wort „Gabe“ trägt viele Gesichter. Es meint ein Geschenk, eine Berührung ohne Erwartung. Eine Fähigkeit, ein Talent, das vielleicht angeboren ist – oder aus einer Not heraus wächst. Eine Handlung, ein Moment des Teilens. In der Medizin ist die Gabe ein präziser Akt: etwas wird verabreicht, dosiert, eingeleitet. Und auch in spirituellen Räumen kennt man die Gabe – als Opfer, als Übergabe an etwas Größeres.
„Gift“, das heute mit Gefahr und Zerstörung assoziiert wird, war ursprünglich genau das Gegenteil. Es stammt aus derselben sprachlichen Wurzel wie „geben“ – ein Geschenk also. Im Englischen ist diese Bedeutung geblieben: gift. Im Deutschen jedoch hat sich die Gabe gewendet. Aus dem Geschenk wurde ein Schadstoff. Aus dem Heilsamen das Tödliche. Aus der Gabe ein Gift.
Und doch: Zwischen Gabe und Gift liegt oft nur ein Tropfen. Ein Hauch. Ein Unterschied in der Dosis. Schon bei den alten Griechen bedeutete phármakon beides zugleich – Heilmittel und Gift. Es ist nicht die Substanz, die entscheidet. Sondern der Moment. Das Timing. Die Absicht. Die Öffnung.


